Sonnenuntergang im Karwendel

Sympathie auf den ersten Blick?

Vom genau Hinsehen und sich gegenseitig Erkennen

 

Ich lerne zwar nicht ständig neue Leute kennen, aber doch immer mal wieder. Manche sind mir spontan sympathisch. Warum, kann ich gar nicht so richtig sagen. Ob es daran liegt, wie er oder sie vor mir steht, sich vorstellt, das Gespräch beginnt? Vielleicht auch wie derjenige schaut, riecht, sich bewegt, die Hand gibt?

Und dann begegnen einem Menschen, bei denen man unwillkürlich einen Schritt aus dem Weg machen möchte, wenn sie auf einen zukommen. Da ist eine Barriere, wie bei einem Magnet mit derselben Polung. Es kostet irgendwie Kraft, auf sie zuzugehen, ohne greifen zu können, warum. Und an manchen Menschen läuft man vorbei, ohne sie wahrzunehmen. Nicht absichtlich, sondern vollkommen unbewusst.

Warum ist das so? Gibt es so etwas wie “Sympathie auf den ersten Blick”? Und wie kann man Menschen unsympathisch finden, obwohl man noch gar nicht mit ihnen gesprochen hat? Ist man deswegen oberflächlich?

Ich glaube nicht. Denn hier spielt etwas eine Rolle, was ganz unbewusst abläuft, ohne dass ich es steuern oder beeinflussen kann.

Etwas liegt in der Luft

Wie die Erde umgibt jeden Menschen eine Atmosphäre, wie eine Luftschicht. Manche nenne es Aura oder vielleicht auch Ausstrahlung. Bei manchen Leuten strahlt diese Schicht schon fast durch die Türe, bevor sie das Zimmer überhaupt betreten haben – übertrieben gesagt. Und manchmal muss ich sehr genau und bewusst hinschauen, hinhören, hinfühlen, um sie beim anderen überhaupt wahrnehmen zu können, weil sie nur ganz leise strahlt.

Die Atmosphäre des anderen löst ein Gefühl in mir aus. Ich spüre sie, ohne unbedingt benennen zu können, was es ist, das dieses Gefühl hervorbringt. Sie beeinflusst mich, ob ich es will oder nicht. Ich kann mich ihr nicht entziehen. Sie ist wie zwischen mir und dem anderen.

Du siehst mich

So wie ich die Atmosphäre von Menschen und Dingen um mich herum aufnehme, so strahle ich meine eigene Atmosphäre aus. Auch ich wirke mit meinem Da-sein, mit meinem So-sein, wie ich bin, auf andere und beeinflusse sie auf meine Art damit.

In allem was wir sind und tun, teilen wir etwas von uns mit. Wir teilen uns mit in unserer Haltung, in unserer Stimme, in unserem Duft, in unserem Arbeiten. Ob wir das möchten oder nicht. Es kommt aus unserer innersten Tiefe, aus unserer Person und wir können es nicht manipulieren.

Was da nach außen strahlt von uns, ist Ausdruck unserer Lebenseinstellung, unseres eigenen Selbstverständnisses und unserer Weltanschauung.

Wenn wir einmal bewusst hinschauen, sehen wir einem Menschen nicht irgendwie an, ob er grundsätzlich andere Menschen ganz okay findet? Oder ob er sie verachtet? Sieht man einem Menschen nicht an, ob es eher ein “Glas-voll”-Typ oder einer mit einem halb leeren Glas ist? Und ob er sich selbst überhaupt im Großen und Ganzen so in Ordnung findet oder nicht? Ob er für sich eintreten würde oder eher vor Konfrontationen zurückschreckt?

Diese Haltungen scheinen durch nach außen. Daher ist es ein wichtiger Schritt, dass ich mir bewusst werde, wie ich selbst diese Fragen über mich beantworte. Mag ich mich eigentlich? Finde ich mich ganz okay oder wäre ich lieber jemand anders? Halte ich grundsätzlich andere Menschen für eine Bereicherung in meinem Leben oder bin ich eher überrascht, wenn mal einer dabei ist, mit dem ich etwas anfangen kann? Gehe ich aufrecht und selbstbewusst durchs Leben oder taste ich mich hindurch und hoffe, dass ich um Konfrontationen herumkomme?

Fühle ich mich eigentlich wohl als Frau, als Mann in meiner Haut? In meiner Rolle? Wie finde ich das Leben an sich? Ist es ein Geschenk oder eine Bürde?

Wie auch immer die Antworten auf diese Fragen und auf weitere, die man sich noch stellen könnte, lauten, die Antworten sind wahrnehmbar für Menschen, denen ich begegne. Es scheint nicht das nach außen, was ich mir wünsche oder versuche zu denken oder zu sein, sondern das, was in meinem Innersten ist.

„Was du bist, schreit so laut …” *

Ich kann nicht einfach so tun, als wäre ich anders. Bin ich nicht so richtig glücklich mit mir, sollte ich mir überlegen, warum das so ist, und versuchen, meine Einstellung zu mir zu ändern, mich lieben zu lernen und mich anzunehmen. Ich kann nicht einfach so tun, als würde ich mich mögen. Ich kann mich nicht ändern, so dass ich meinem Bild entspreche. Und mich umtauschen geht halt auch nicht.

Versuche, sich andere Verhaltensweisen anzutrainieren, wie man es heute in manch einem Persönlichkeitsseminar und Coaching lernen kann, können Themen kurzzeitig kaschieren. Aber es wird immer nur eine Maskerade bleiben, die vom Gegenüber schnell durchschaut werden kann, wenn dieser genau hinschaut. Solange bis ich das Thema tief verinnerlicht habe und es zu meiner Einstellung geworden ist. Sonst ist es unheimlich anstrengend, die Maskerade aufrecht zu erhalten, und insbesondere in Stresssituationen ist sie sehr fragil.

Meine Atmosphäre wird mich Lügen strafen, wenn ich versuche, nach außen hin etwas darzustellen, was ich nicht bin. Vielleicht erkennt der andere nicht, wobei ich mich verstelle. Aber dass etwas nicht stimmig ist, wird ihm nicht entgehen.

Wandel kommt von tief drinnen

Wenn die eigenen Antworten auf die Fragen nicht immer so ausfallen, wie wir uns das wünschen, dann könnte das für uns ein wertvoller Hinweis darauf sein, was vielleicht im Leben gerade nicht so gut gelingt. Es wäre ein Ansatzpunkt zu schauen, warum es denn diese Differenz gibt zwischen dem, was ich gerne ausstrahlen würde, und dem, was mich aktuell ausmacht.

Ist es wichtig für mich, mich an diesem Punkt zu verändern? Fühlt es sich richtig an für mich, so zu sein, wie ich mir das vorstelle? Würde es mein Leben langfristig und sinnvoll bereichern? Oder wäre ich schon mit mir zufrieden, gäbe es da nicht die Erwartungshaltungen von außen?

Vielleicht ist es wichtig zu schauen, ob denn meine aktuelle Lebenssituation meine Antwort verändert hat, im Vergleich dazu, wie ich sie normalerweise, in „guten“ Zeiten beantworten würde. Ich fühle und denke eventuell im Moment anderes, als es meine Atmosphäre nach außen gibt. Für mein Gegenüber ergibt sich so ein recht unstimmiges Bild – zum Beispiel, wenn ich gerade von Selbstzweifeln innerlich zerrissen bin durch eine Lebenskrise, aber nach außen weiterhin mein sonst selbstbewusstes Wesen hindurch scheint.

Aufeinander und auf sich achten

Da wir alle in unserem Leben durch schwere Zeiten gehen, glaube ich, ist es wichtig, dass wir immer bewusst hinschauen bei anderen Menschen. Dass wir auch in uns prüfen, ob es sich richtig anfühlt, was ich da wahrnehme. Vielleicht kommt ein ungutes Gefühl daher, dass der andere gerade mit sich zu kämpfen hat und deshalb keine stimmigen Signale senden kann. Mir kann es dann leichter fallen, mit ihm oder ihr umzugehen.

In der Auseinandersetzung mit uns selbst stoßen wir auf die Themen unseres eigenen Lebens. Es kann ausreichend sein, wenn ich mir meine Antworten bewusst mache, um Reaktionen der anderen zu verstehen. Manchmal wäre aber vielleicht auch eine lebensfreundlichere Einstellung sinnvoll, damit wir das nach außen scheinen lassen können, was wir im tiefsten Inneren eigentlich als stimmig zu uns fühlen.


* R. W. Emerson:

“Was du bist, schreit so laut in meine Ohren, dass ich nicht hören kann, was du sagst.” –

 

Ein Anstoß für diesen Text war der Beitrag von Prof. Wolfram Kurz „Sinn und Atmosphäre. Vom Heil und Unheil, das ‚in der Luft liegt'“, der in „Mensch sein in unserer Zeit“ (Stiftung Dr. Heines (Hrsg.), Bremen 1995) erschienen ist.

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