Scharzwasserbach

Die Wunder am Wegrand

Vom Loslassen und Raum Geben

 
Hast du schon mal etwas losgelassen in deinem Leben? So richtig? Etwas das du nicht nur zur Seite gelegt hast, sondern es wirklich gehen lassen, es weggegeben oder verkauft hast? Etwas, von dem du meintest, dass es unbedingt zu deinem Leben gehört, zu dir gehört? Von dem du dachtest, dass ohne es etwas fehlt?

Und hast du dann gemerkt, als es weg war, dass du es gar nicht so sehr vermisst, wie du befürchtet hast? Oder dass es sogar irgendwie gut ist, dass es weg ist? Weil plötzlich Raum war für Neues. Weil sich neue Wege aufgetan haben, die vorher verschlossen oder verdeckt waren. Weil du plötzlich wieder ins Tun kommen musstest.

Es waren wahrscheinlich auch einmal Dinge oder Menschen dabei, die du loslassen musstest, ohne es selbst zu wollen. Und über deren Verlust du getrauert hast. Bei denen du dich noch lange an Erinnerungen festgehalten hast und sie nicht gehen lassen konntest. Hier fällt es schwer, neuen Raum und neue Wege wahrzunehmen. Aber sie sind immer da. Ich wünsche dir das Vertrauen darauf, dass es sie gibt, und den Mut, sie zu entdecken …

Auf Bereicherung und Fülle kann Leere folgen

Für mich ist in den letzten Monaten das Loslassen zu einem tragenden Thema geworden. Viel Neues ist in den vergangenen Jahren in meinem Leben dazugekommen. Neben neuen Menschen, die es nun bereichern, und ein paar neuen Dingen in meiner Wohnung, kam auch viel im Innen dazu. Oft war es ein innerliches Bewusst-Werden oder Neu-Erkennen von Gedanken und Träumen, von Stärken und Lebenskonzepten. Vieles Unbewusste kam heraus an die Oberfläche, unter der es schon lange schlummerte. Endlich durfte es gedacht, geträumt, gelebt werden. Das hat mein Leben reicher gemacht, farbenfroher, lebendiger. Und hoffnungsvoller.

Aber es hat es auch anstrengender gemacht. Und unheimlich energiezehrend.

Neues bereichert ungemein, aber wie mit einem Kleiderschrank oder einer Wohnung oder auch dem Freundeskreis: Irgendwann ist es voll, sind es zu viele Sachen, Beziehungen, Gedanken. Irgendwann gibt es keinen Platz mehr, das Neue sinnvoll einzuordnen. Irgendwann kann man sich nicht mehr bewegen, findet nichts mehr in der Fülle. Irgendwann fällt die Entscheidung schwer, was man anziehen soll, welches Buch man lesen, welchen Sport man treiben soll. Mit wem man sich treffen soll in der wenigen freien Zeit, die bleibt. Welche Gedanken man denken soll.

Der Blick auf das, was wichtig ist, geht dabei leicht verloren. Dann kann die Fülle schnell zur Leere werden.

In diesem Jahr lerne ich also das Loslassen. Und das tut manchmal weh. Aber ich merke, es macht mich leichter. Was mir hilft, das zu finden, was gehen darf, ist, ein Ziel zu haben, wohin mich mein Weg führen soll – grob jedenfalls. Vielleicht ist es auch eher eine Idee für die Richtung. Aber das Wichtige daran ist das Gefühl, das dieser Weg, dieses Ziel in mir auslöst. Es fühlt sich richtig an. Wäre es nicht so, könnte ich wahrscheinlich nichts loslassen und würde mich an allem festhalten, was in meinem Leben ist. Nicht dass das Falsche verloren geht.

Das Wissen, dass das Lassen des Alten Raum öffnet für das Gefühl, das Ziel das ich erreichen will, hilft mir dabei, seinen Verlust zu ertragen. Dass die Wege, die ich mir durch das Lassen des Alten verstelle, nicht in die richtige Richtung geführt haben, hilft mir, das Lassen zu wagen.

Loslassen darf bei der eigenen Wohnung, beim Besitz beginnen.

Welche Dinge würde ich auf jeden Fall mitnehmen wollen, wenn ich einmal umziehe und weniger Platz habe? Brauche ich diesen Schrank, diese Bücher, diese Bilder? Sehe ich sie in meinen Träumen von der Zukunft immer noch um mich herum? Oder darf ich mich von ihnen verabschieden und sie weitergeben? Was davon tut mir gut und macht mir Freude? Wo fühle ich ein schlechtes Gewissen, weil es teuer war oder ein Geschenk? Will ich die Freude mitnehmen oder das schlechte Gewissen?

Loslassen darf ich Angewohnheiten.

Wenn Rituale mein Leben steuern, darf ich versuchen, was mit mir geschieht, wenn ich sie einmal lasse. Vielleicht werde ich mir bewusst, dass sie mich nur ablenken von etwas, was noch an die Oberfläche kommen möchte? Was passiert, wenn ich mein Morgenritual umbaue? Finde ich neue Zeit für mich und meine persönliche Entwicklung, meine Entspannung, wenn ich nicht die Zeitung lese? Oder für Sport? Muss ich vor dem Schlafengehen wirklich immer noch den Fernseher anmachen oder lässt mich ein gutes Buch nicht viel besser zur Ruhe kommen?

Loslassen von Glaubenssätzen befreit mich.

Habe ich mich schon einmal gefragt, warum ich auf eine bestimmte Weise handle oder denke? Von wem habe ich diese Gedanken übernommen? Passen sie zu meinem Sein oder habe ich sie nur irgendwann verinnerlicht? Gäbe es einen freundlicheren Weg zu denken und zu handeln, eine andere Möglichkeit, die sich besser anfühlt und mir und anderen gegenüber wertschätzender ist? Muss ich denn etwas immer tun, nur weil mir alle sagen, dass ich das toll mache, oder andersherum etwas nicht tun, weil sie denken, dass ich es nicht kann?

Loslassen darf ich auch Menschen – zum Beispiel zusammen mit den passenden Glaubenssätzen.

Wer tut mir gut? Bei wem habe ich das Gefühl, dass er oder sie es gut mit mir meint? Dass ich ihm oder ihr etwas bedeute? Und bei wem nicht? Wer schränkt mich ein, wer fördert und fordert mich? Wir sind alle angewiesen auf Beziehungen. Wir können am anderen wachsen und ihm zum Wachsen verhelfen. Aber wir können uns auch gegenseitig Kraft rauben und uns davon abhalten, uns zu entwickeln. Nicht jeder Mensch, dem wir begegnen, geht in dieselbe Richtung wie wir. An mancher Stelle des Wegs ist ein freundschaftlicher Abschied für beide besser, als dass einer sich dem anderen zuliebe auf einen Weg begibt, den er nicht einschlagen wollte.

Loslassen darf ich meine Ansprüche an mich.

Wer ich meine, sein zu müssen. Und bis wann. Wir sind unsere härtesten Kritiker und denken immer zu wissen, was von uns erwartet wird. Im Laufe unseres Lebens haben wir dadurch eine Erwartung an uns gebildet, der wir nicht unbedingt entsprechen. Zum Teil kam sie sicher von außen, aber wir selbst gestalten sie innerlich aus und schreiben sie fest. Wenn ich diese Erwartungen an mich einmal weglasse, wie sehe ich mich dann? Wie will ich mich fühlen? Was bewegt mich tief innen? Was bereitet mir Freude? Wo will ich eigentlich sein? Vielleicht ist es ein erster Schritt, das Gefühl zu erkennen, dass ich mit diesem Anspruch an mich verbinde, das sich einstellen soll, wenn ich ihm gerecht werde. Ist es das Gefühl, geliebt oder anerkannt zu sein? Stolz auf mich selbst? Zufriedenheit mit meinen Ergebnissen? Innerer Friede? Mit dem Loslassen meines eigenen Anspruchs an mich schaffe ich neuen Raum für andere Möglichkeiten, wie sich dieses Gefühl einstellen könnte. Warum glauben wir, das WIE selbst kennen und daraus den Anspruch an uns formulieren zu müssen?

Ich darf loslassen und mir das WIE schenken lassen. Durch Loslassen schaffe ich Raum, anderes wahrzunehmen, was mir vorher verborgen war. Weil mein Blick auf die Welt sich verändert. Er weitet sich und ich entdecke die Wunder, die an meinem Weg liegen. Dort lagen sie immer schon. Ob ich sie sehe oder nicht, kann nur ich selbst steuern. Indem ich Raum für sie lasse.

 

„Was die anderen von dir denken, geht dich gar nichts an.“

Das ist ein Zitat, dass ich in einem Seminarmitschnitt neulich gehört habe. Ich fand es unheimlich befreiend.

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