Von der Kunst, sich über Stärken zu freuen und Schwächen freundlicher zu betrachten
Ich dachte immer, ich bin ein wenig sprunghaft mit meinen Interessen. Nicht, dass ich ständig neue Hobbies habe. Aber ich fange vieles an. Oft mehrere Sachen gleichzeitig. Und es kommt recht häufig vor, dass der Enthusiasmus so plötzlich wieder weg ist, wie er gekommen ist.
Jetzt habe ich eine offizielle Erklärung für dieses Verhalten: Ich bin ein “Learner”. Meine Stärke ist “Wissbegier”. Ich bin von Haus aus unheimlich neu-gierig und interessiert und gehe auf darin, neue Dinge zu lernen und zu erfahren. Und mich in dem, was ich weiß und kann ständig zu verbessern. Es geht um den Prozess des Lernens. Nicht um ein Ziel dahinter.
Mein Drang, von dem neu Gelernten zu erzählen und andere ebenfalls dafür zu begeistern, was Learner häufig gerne tun, hat übrigens diesen Blog entstehen lassen.
Stärken finden
Welche Stärken ich habe, habe ich neulich über einen Online-Test analysieren lassen, den “Stärkenfinder”. Das Ergebnis liefert für die fünf größten Stärken, die der Test ergeben hat, jeweils eine sehr detaillierte Beschreibung. Es wird erklärt, was diese Stärke ausmacht, was man mit ihr anfangen kann und welchen Eindruck sie möglicherweise bei anderen hinterlässt. Insgesamt gibt es 34 verschiedene Stärken (oder neutral: Eigenschaften), die mehr oder weniger stark ausgeprägt sind in jedem.
Eine neue Erkenntnis für mich kam jetzt nicht gerade dabei heraus. Ich kenne meine Eigenschaften, glaube ich, recht genau. Aber was mir sehr gut gefallen hat und mich überrascht hat, war, wie positiv die einzelnen Eigenschaften beschrieben sind und wie lebensfreundlich das herausgearbeitet wurde, wie man sie im Alltag einsetzen kann und was sie wirklich zu Stärken macht. Wie man mit ihnen in der Welt etwas beitragen kann.
Jede Eigenschaft hat etwas Wunderbares an sich, was in dieser Welt sein muss, um gemeinsam Gutes gestalten zu können. Es ist alles eine Frage der Perspektive, wie ich mich auf diese Eigenschaft – von mir oder auch von anderen – einlasse.
Der Blickwinkel ist entscheidend
Natürlich könnte ich auch jede meiner “Stärken” nehmen und sie als negative Eigenschaft formulieren, so dass eher eine “Schwäche” daraus wird. Das geht ganz einfach: Ein “Learner”? Wie gesagt: zu sprunghaft! Und so besserwisserisch, immer allen etwas von meinem Wissen auf die Nase binden zu müssen! Etwas mehr Demut, bitte! Ein “Maximizer” bin ich auch? Immer dieser Perfektionismus! Mach dir selbst und anderen halt das Leben schwer! “Positivity”??? Bisschen naiv, immer nur das Gute auf der Welt und in den Menschen zu sehen, was?
Und schon bin ich deprimiert.
Wie muss ich wohl auf andere wirken? Mit all diesen nervigen Eigenschaften? Ich könnte mich also grämen über meine Sprunghaftigkeit und mir etwas mehr Ausgeglichenheit im Leben wünschen. Außerdem könnte ich versuchen, mich in meinem Streben nach Optimierung zurückzunehmen oder mich auch viel mehr mit den negativen Dingen in der Welt auseinandersetzen und mit den anderen darüber schimpfen …
Aber warum sollte ich das tun? Weil andere meine Eigenschaften nicht mögen oder sie sie nicht einordnen können? Weil ich damit nicht ins Bild der Gesellschaft passe? Weil ich nicht immer ein Gesprächsthema mit allen und jedem finde?
Sich selbst freundlich anschauen
Ein Aspekt, der in meiner Stärkenbeschreibung vorkommt, ist, dass ich mich auf meine Stärken konzentriere und auch bei anderen versuche, deren Stärken zu sehen und zu fördern. (Letzteres klappt leider nicht immer – insbesondere dann nicht verlässlich, wenn mein Streben nach Optimierung, mein Perfektionismus ein Wort mitredet.)
Seine eigenen Stärken selbst zu finden, ist gar nicht so einfach. Wenn ich mir meine Eigenschaften anschaue – die kann wahrscheinlich jeder für sich selbst recht genau beschreiben – dann fielen mir oft erst all die negativen Themen wie oben ein, die ich zum Teil auch schon zurückgemeldet bekommen habe von außen. Die mich selbst an mir stören, die mir vielleicht peinlich sind. Wir sind oft gar nicht so richtig in der Lage, uns selbst positiv darzustellen.
Gönnen wir es uns einmal, in Gedanken eine rosarote Brille aufzusetzen und zu versuchen, unsere Eigenschaften in positive Worte zu kleiden. “Ich bin ein Perfektionist.” wird zu “Ich verleihe den Dingen den letzten Schliff.” Klingt doch schon weniger nach krampfhaftem Arbeiten als nach liebevollem Nachpolieren, oder?
Wenn uns selbst nichts einfällt, können wir unsere Freunde, unsere Familie bitten, mit uns auf “Wortsuche” zu gehen. Ihr Blick von außen sieht uns viel wohlwollender, als wir uns das selbst oft zugestehen. Sie kennen uns so gut, dass es ihnen leicht fällt, auch Beispiele zu bringen, in denen unsere vermeintlich negative oder ungemütliche Eigenschaft etwas Positives bewirkt hat.
Mein Online-Test hat auch nichts anderes gemacht: Ich habe ihm von mir “erzählt” durch das Beantworten der Fragen, und die Menschen, die die Stärkenbeschreibungen gemacht haben, hatten das wunderbare Talent, in all den möglichen Eigenschaften, positive Nuancen zu sehen und aufzuschreiben.
Lebensthemen
Was mir am besten gefallen hat an dieser “Stärkensuche”, ist, dass sich diese Eigenschaften, diese Stärken, die mir da attestiert wurden, mein Leben lang schon hindurchziehen. Dass ich so bin, wie das, was da Schwarz auf Weiß steht in meinem Testergebnis. Da steht nicht etwas, was ich sein will oder sein soll. Sondern es beschreibt, was ich mit (mehr oder weniger) Leichtigkeit in meinem Alltag einbringen kann, weil es schon in mir ist.
Mit dem positiven, lebensfreundlichen Blick auf meine Eigenschaften und der Zusage, dass ich sie als Stärke zeigen darf und nicht als Schwäche zurückhalten und verbergen muss, ist neuer Mut entstanden für Entscheidungen. Eigene Verhaltensmuster kann ich sinnvoll nutzen, anstatt mich über sie zu ärgern. Der Blick auf andere ist wieder ein Stück geweitet. Entdecke ich ihre Stärken?
Ich glaube, wir sollten anfangen, positivere Worte in unsere Gedanken und unsere Sprache einzubinden – nicht nur anderen gegenüber, sondern auch uns selbst. Was auf den ersten Blick vielleicht wenig erwünscht und wenig hilfreich aussieht, kann bei einem tieferen Blick wunderbare Möglichkeiten eröffnen. Gestehen wir uns es zu, dass wir genau diejenigen Eigenschaften haben, die wir brauchen, um in dieser Welt etwas Positives beitragen zu können. Wir haben sie vielleicht nur noch nicht entdeckt in uns, weil wir sie noch nicht mit den richtigen, lebensfreundlichen Worten benannt haben.
Ausprobieren
Ich würde gerne mit euch auf Wortsuche gehen, um eure Stärken zu finden. Schreibt mir, was euch eingefallen ist. Oder für welche Eigenschaft euch kein positives Wort in den Sinn kommen will. Zusammen kommen doch immer die besten Ideen zustande!