Steinmännchen an der Breitach

Ein Grundgedanke der Logotherapie

Vom lebensfreundlichen Blick der Logotherapie auf den Menschen

 

In diesem Post möchte ich einen für mich essenziellen Gedanken beschreiben, der der Logotherapie zu Grunde liegt und der mir wichtig geworden ist.

Es gibt verschiedene Ideen, wie der Mensch „konstruiert“ ist. Sigmund Freud zum Beispiel spricht von Ich, Es und Über-Ich, um den Mensch und seine inneren Konflikte zu beschreiben. Das Es steht für die inneren Triebe und Emotionen, das Über-Ich für die Normen und Regeln, die ich verinnerlicht habe und die mir einen sozialen Rahmen setzen. Aufgabe des Ichs ist es nun, die beiden in einem gesunden Gleichgewicht zu halten; d.h. nicht meinen Trieben und Gefühlen nachzugeben, wenn die Situation ein anderes Verhalten von mir erfordert, aber auch nicht stupide Normen und Regeln zu folgen, wenn sich etwas in mir dagegen regt. Ein gesundes Ich kann den Fokus auf einen der beiden anderen situativ sinnvoll setzen. (Ich bitte zu entschuldigen, wenn dies nicht eine Beschreibung aus dem Lehrbuch ist.)

Körper, Psyche und Geist

Viktor E. Frankl, der Begründer oder „Finder“ der Logotherapie (er selbst sprach einmal davon, dass er die Logotherapie nicht erfunden, sondern gefunden hat), baut seine Psychologie darauf auf, dass der Menschen aus den Dimensionen Körper, Psyche und Geist besteht.

Die Person des Menschen, seine Einzigartigkeit, sein Sein ist geistig. Körper und Psyche sind Ausdrucksmedium für den Geist. Der Mensch benötigt alle drei Dimensionen in dieser Welt, um zu handeln und sich auszudrücken. Erkrankt ein Mensch körperlich oder psychisch, verliert er dadurch eventuell die Möglichkeit, sich zu artikulieren oder normal (oder das, was man darunter versteht) zu reagieren.

Der Geist selbst kann nicht erkranken im Gegensatz zu Körper und zu Seele (dieses Wort wird häufig synonym für die Psyche gebraucht, weshalb Frankl den Begriff „Geist“ verwendete, um den Unterschied zu verdeutlichen). Der Geist, die Person, kann hinter ihrer Krankheit vielleicht einmal nicht mehr sichtbar sein. Aber – und das ist das zutiefst Positive und Menschenfreundliche an Frankls Menschenbild – die geistige Person behält hinter der Krankheit immer ihre Würde.

Lebensfreundliches Menschenbild

Aus diesem Bild ergeben sich zwei Credos, die Frankl das „psychiatrische Credo“ und das „psychotherapeutische Credo“ nennt. Das erste Credo, das psychiatrische, ist in unserer heutigen Welt im Umgang miteinander von großer Bedeutung. Glaube ich daran, dass der Mensch in seiner geistigen Person nicht erkranken kann, gehe ich anders mit ihm um im Falle von körperlichen und auch psychischen Krankheiten, als wenn ich ihn nur noch für einen leeren Körper halte oder für einen psychisch Gestörten. Zu wissen, dass in jedem Falle die Person in ihrem Geist vor mir ist, auch wenn sie nicht mehr in der Lage ist, sich auszudrücken oder zu handeln, fordert mich zu einem anderen, würdevollen Umgang mit dem gesamten Menschen heraus.

Das psychotherapeutische Credo blickt auf mich selbst als Person. Ich habe einen Körper, aber ich bin nicht mein Körper. Und: Ich habe Emotionen und Gefühle, aber ich bin nicht meine Emotionen und Gefühle. Das klingt erst einmal etwas abstrakt. Beim näheren Hinsehen geht es aber sehr tief: Wenn ich nicht meine Emotionen bin, dann habe ich immer noch etwas zu sagen, wenn es darum geht, was diese Emotionen mit mir machen. Wenn ich nicht mein Körper bin, dann ist es zwar meine Aufgabe, ihn gesund zu halten, aber er ist nicht das einzige, was mich ausmacht und definiert.

„Ich muss mir von mir selbst nicht alles gefallen lassen.“

Der Mensch ist in der Lage, sich selbst zu betrachten. Wie oft ärgern wir uns wahnsinnig über etwas oder über einen anderen. Manchmal hilft es schon, wenn ich anfange, darüber nachzudenken, was mich eigentlich so ärgerlich macht im Moment. Ich gehe auf Distanz zu meinem Gefühl – dem Ärger – und schaue es mir an. In dem Moment bekomme ich wieder Luft zu denken. Wie schnell verfliegt der Ärger, wenn ich mir bewusst mache, was eigentlich gerade mit mir geschieht? Im Konzentrationslager hat Frankl einmal gesagt, dass er es nicht verhindern könne, dass man ihm alles nimmt und ihm all das Grausame antut. Aber was man ihm nie nehmen können wird, sei die Freiheit, selbst zu bestimmen, wie er darauf reagiert, was ihm angetan wird.

Die Schmerzen und Qualen eines Konzentrationslagers sind nun Gott sei Dank weit weg von dem, was wir uns täglich gegenseitig antun, und von dem, was wir uns selbst antun. Was für ein Geschenk ist diese Freiheit, dass wir immer selbstbestimmen können, wie wir auf Ärger, Streit und Enttäuschung reagieren?

„Jeden Tag entscheidest du selbst, wer du sein möchtest.“

Treibt mich ein Kollege regelmäßig in den Wahnsinn oder kann ich ihn stehen lassen, weil ich eigentlich ein friedlicher Mensch bin und nicht mehr auf seine Provokationen reagieren möchte? Vielleicht hören seine Provokationen ja dadurch sogar auf, weil er merkt, dass ich ja doch nicht so ein unangenehmer Typ bin und nicht immer so genervt zu sein scheine … War vielleicht sogar ich der Auslöser für seinen Missmut und der Teufelskreis ist jetzt durchbrochen?

Grämen mich meine eigenen Fehler und lassen sie mich nachts wach liegen und grübeln, warum gerade mir das nun schon wieder passiert ist und warum ich nicht in der Lage war, es vorher zu sehen … oder kann ich mich von dieser Enttäuschung in mich selbst befreien und auch mich stehen lassen als jemand, der nicht perfekt sein muss?

Frankls Menschenbild ist für mich ein wertvoller Begleiter geworden im Leben. Auch mein Post zu den Bildern, die wir benötigen, um zu handeln, beruht auf diesem Menschenbild. Die Fähigkeit, sich von sich selbst zu distanzieren und sich für eine sinnvolle Reaktion zu entscheiden zu können, muss dem Menschen bewusst werden, um nicht Trieb- oder Norm-gesteuert zu handeln, sondern um das eigene Verhalten an die Situation lebensfreundlich anzupassen.

Liebe deinen Nächsten …

Der Blick auf die Person im Geist des Menschen hat für mich einen neuen Zugang zum Gebot der Nächstenliebe geöffnet: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Für mich ist greifbarer geworden, wie diese Liebe aussehen kann.

Ist es nicht viel einfacher, den anderen Menschen anzunehmen, wenn man in ihm entdeckt, dass seine Emotionen und Gefühle vielleicht gerade die Steuerung übernommen haben? Dass seine Reaktion im Moment vielleicht eher aus einem der drei Urinstinkte heraus entstanden ist – Angriff, Flucht oder Totstellen – als aus einer rationalen Entscheidung über gutes Miteinander? Weil er kein lebensfreundlicheres Bild zur Verfügung hat aktuell? Kann ich seine Fehler nicht wohlwollend annehmen und ihm zugestehen, dass er nicht perfekt in meinem Maßstab sein muss?

Spüre ich nicht die Würde eines Menschen auch im kranken Menschen, wenn ich mir vor Augen halte, dass seine Möglichkeit erkrankt ist, sich auszudrücken, die Person selbst dabei aber immer noch vor mir ist in diesem Körper? Auch das Hirn ist nur ein Teil des Ausdrucksmediums für unseren Geist. Arbeitet es nicht mehr richtig und vergisst es Vergangenes, heißt es nicht, dass die Person selbst nicht mehr da ist oder dass mich diese Person vergessen hat. Sie kann es mir nur nicht mehr zeigen.

… wie dich selbst.

Mich selbst zu lieben, das bedeutet, mich so anzunehmen, wie ich bin. Nicht immer kritisch zu beäugen, was ich tue, was ich kann und wie ich aussehe. Sondern wohlwollend auch ab und zu auf Distanz zu mir zu gehen, meine Reaktionen anzuschauen, mein Verhalten, und mich zu fragen, ob ich das eigentlich wirklich bin, was nach außen tönt. Wie möchte ich, dass die anderen sich an mich erinnern? Gebe ich den anderen überhaupt eine Chance, das in mir zu entdecken, oder übertönen meine Emotionen und Handlungen meine eigentlichen, ursprünglichen Absichten? Wieso muss ich an mich selbst immer so hohe Ansprüche stellen? Manchmal sollte man sich einfach nicht alles von sich gefallen lassen!

An welcher Stelle jeder einzelne beginnt, ist nicht wichtig. Für den einen ist es einfacher, erst einmal bei anderen anzufangen, deren Person zu entdecken, bevor man sich selbst die Gnade schenkt, sich anzunehmen. Andere erfahren durch Bezugspersonen, durch Vorbilder oder auch aus sich heraus, wie lebensfreundlich es sein kann, sich selbst betrachten zu können und sich selbst lieben zu dürfen, und leben dies dann auch im Miteinander.

Im Alltag

Der Anfang ist nicht wichtig. Gutes Leben kann nur gelingen, wenn wir die Unterschiedlichkeiten der Menschen nicht als Bürde, sondern als Geschenk sehen, und wenn wir die eigenen Eigenarten nicht als Hinderung, sondern als Aufgabe und wichtigen Teil des Ganzen sehen.

Die Person jedes einzelnen Menschen zu entdecken hinter dem, was er nach außen trägt, ihn zu unterstützen und zu befähigen, sich als Person zu finden und sich zu trauen, sich auch nach außen zu zeigen, das sollte unsere Handlung beeinflussen. Neugierig sein, wer da vor einem steht. Zu entdecken, wer derjenige wirklich ist. Da wird schon so mancher ungeliebte Kollege zum interessanten Menschen. Und vielleicht freut der sich wiederum darüber, dass sich jemand für ihn interessiert.

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