Blick in die Ferne

Die Sache mit der Sehnsucht

Von Wünschen und Träumen, die sich nicht immer erfüllen lassen

 

Ein Bekannter hat mich gefragt, ob ich nicht einmal über „Sehnsucht“ einen Post schreiben könnte. Das wollte ich gerne versuchen. Und es hat mich ehrlich gesagt nun eine ganze Weile beschäftigt. Was genau versteht man denn unter Sehnsucht? Was für ein Gefühl steckt dahinter? Und woher kommt es?

Mein erster Ansatzpunkt war, das Wort zu googlen. Es war erstaunlich wenig Verwendbares auf den ersten Ergebnisseiten, fand ich. Der Duden hat mir einen Startpunkt gegeben: „inniges, schmerzliches Verlangen nach jemandem, etwas [Entbehrtem, Fernem]“. Das hat mich ehrlich gesagt etwas überrascht, weil ich noch irgendeinen positiven Aspekt erwartet hatte in der Definition. Das, nach dem ich Sehnsucht habe, sollte doch eigentlich mit einem guten Gefühl verbunden sein. Als ich mir dann noch die Synonyme angeschaut habe (Bedürfnis, Begierde, Gier, Lust, Wunsch), war ich erst einmal ratlos, was ich dazu schreiben sollte.

Ein paar Tage später hat sich in einem weiteren Gespräch dazu plötzlich ein Bild von diesem Text geformt. Ich bin gespannt, wie ihr ihn findet, und freue mich über Rückmeldungen, persönlich oder per eMail.

Zwei Facetten

Wenn Sehnsucht wie ein „schmerzliches Verlangen nach etwas“ ist, so schwingt für mich eine Unerreichbarkeit des Sehnsuchtsobjekts mit. Ich kann etwas nicht bekommen – oder weiß nicht wie – und sehne mich deswegen danach.

Daher möchte ich zwei Gedanken weiterverfolgen: Der erste geht um die Sehnsuchtsobjekte selbst und der zweite um die Unerreichbarkeit.

Der Gabentisch

Das Bild vom Gabentisch, von dem mir jemand erzählt hat, hilft mir selbst immer wieder dabei, einen Schritt zurückzutreten und meine Wünsche und Sehnsüchte genau anzuschauen, bevor ich mich wegen ihnen gräme.

Auf meinen Gabentisch stelle ich in Gedanken all die Dinge, die mich zu der machen, die ich bin. Da finden sich meine Talente, die mir geschenkt worden sind, meine Fähigkeiten, die ich mir über die Jahre angeeignet habe, und Erfahrungen, die mich geprägt haben. Schön gerahmt stehen Bilder von meiner Familie und Freunden auf meinem Tisch neben meiner mathematisch-logischen Begabung (vielleicht in Form einer schönen Urkunde?) und meiner Begeisterung für die Berge und das Klettern (wie Fotoalben voller Erinnerungen).

Der Tisch ist reichlich gefüllt und gefällt mir gut, aber es gibt immer ein Paket, das einfach nicht auftauchen will auf diesem Tisch. Es findet sich nicht versteckt unter all den anderen Päckchen, sondern – wie kann das sein?! – ich sehe es nur bei anderen auf den Tischen stehen. Wieso haben sie dieses Geschenk verdient und warum ich nicht?

Sehnen nach Sinn oder Sehn-Sucht

Das Bild hilft mir, mich zu fragen, woher denn meine Sehnsucht kommt. Ist es tatsächlich ein Sehen nach etwas, das mir wichtig ist, das fehlt, um meinem Leben Sinn zu geben? Das eine Lücke reißt zwischen all den anderen Geschenken, die ich doch bereits habe? Oder ist es ein Bedürfnis, von dem mir die Welt suggeriert, dass ich es unbedingt auch noch in meinem Leben haben muss? Bin ich neidisch, weil ein anderer es hat oder tut? Habe ich das Gefühl, dass ich es ständig um mich herum brauche, um mich überhaupt lebendig und glücklich zu fühlen? Und wenn ja, tut mir das gut, so abhängig davon zu sein?

Die Antworten auf diese Fragen kann jeder nur für sich selbst beantworten. Aber sie helfen dabei, die eigenen Sehnsüchte und Wünsche einzuordnen. Manche lösen sich wie von alleine plötzlich auf, wenn man feststellt, dass sie gar nicht aus den eigenen Ideen und Gefühlen entspringen, sondern von außen geweckt wurden.

Wichtig, aber nicht erreichbar?

Für diejenigen Dinge, die mir nun tatsächlich wichtig sind, die meinem innersten Wesen entsprechen und die mein Leben wert-voll machen, sollte ich mir überlegen, ob ich nicht das „schmerzliche Verlangen“ danach doch lindern kann. Wenn ich körperliche Schmerzen empfinde, dann tue ich etwas dagegen. Warum nicht, wenn ich seelische Schmerzen empfinde?

Den meisten meiner Sehnsüchte kann ich begegnen – oder ich kann zumindest einen Schritt auf sie zugehen, um den Schmerz zu lindern.

Was hindert mich?

Ich habe für mich die Erfahrung gemacht, dass mir zur Erfüllung meiner Sehnsucht oder zumindest dem Anfangen, darauf hinzuarbeiten, ehrlicherweise recht häufig nur Ausreden („Ich habe keine Zeit“, „Kein Geld“) oder „Sich-Einreden“ (so etwas wie „Ich habe das nicht verdient“, „Ich bin nicht gut genug dafür“) im Weg stehen und mich abhalten zu handeln. Hier heißt es schlicht: aufraffen und tun, Hürden beseitigen, einen Plan machen und den ersten Schritt gehen. (Vielleicht gibt es dazu auch bald einmal einen Blog-Beitrag. Bis dahin kann ich euch gerne Beiträge anderer Blogger empfehlen, die ich bereits dazu gelesen habe.)

Nicht bei allen Wünschen und Träumen wird es mir gelingen, zu handeln in Richtung Erfüllung. Was mir selbst durch Zeiten hilft, in denen ich einfach nicht in der Lage bin, etwas zu tun, ist, mir auszumalen, wie es sich anfühlen wird und wie es sein wird, wenn es soweit wäre. Alleine die Vorstellung davon, das Träumen davon, lindert bei mir oft bereits den Schmerz ein wenig.

Für mich ist zum Beispiel die Sehnsucht nach den Bergen etwas, was mich immer wieder bewegt. Ich würde so gerne mehr draußen sein, mehr klettern, mehr wandern. Die Sehnsucht danach ist immer da, aber sie wird nur dann schmerzhaft, wenn ich nicht dazu komme, mich mit dem Thema Berge oder Klettern überhaupt zu befassen. Alleine schon, eine Klettertour oder Wanderung zu planen, sie „vorzuträumen“ und die Vorfreude darauf zu erleben, ist ein gutes Gefühl für mich.

Manche Dinge lassen sich aber tatsächlich nicht erfüllen, und ein Planen daraufhin, obwohl man weiß, dass es irreal ist, wäre fast schon so etwas wie Selbstbetrug. Oft geht es um Menschen oder Situationen oder Fähigkeiten, die einmal Teil des eigenen Lebens waren und unwiederbringbar vergangen oder verloren sind. Die man schmerzlich vermisst. Für diesen Fall möchte ich euch noch ein zweites Bild geben von Viktor E. Frankl, das ich für sehr wertvoll halte.

Scheunen der Vergangenheit

Alles, was ich erlebt habe in meinem Leben, ist Teil meiner Ernte, die ich einfahren konnte. Meine Scheunen an guten Erinnerungen sind – wenn ich darüber nachdenke – bereits prall gefüllt. Ich darf davon zehren in schlechten Zeiten und mich daran freuen in guten.

Anstatt verbittert Vergangenem nachzutrauern und die abgemähten Stoppelfelder zu betrachten, sollten wir zurückschauen, was uns bereits geschenkt worden ist in diesem Leben, und dankbar die Erinnerung daran genießen, als allzu sehr um eine Wiederholung, um ein Zurückdrehen der Zeit zu beten.

Wenn euch eine Sehnsucht auf dem Herzen liegt, die euch nicht loslassen will, dann schreibt mit doch eine Nachricht. Vielleicht kannst du mir davon erzählen und beim Erzählen einen Weg finden, sie zu erfüllen, oder zumindest die Erinnerungen daran lieben und als Geschenk schätzen zu lernen.

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